Honda-XR-Story (Teil 1) von Dino Mari
Enduro '92
'Die Rothaut'

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Sie ist alt. Sie ist dick. Sie ist schwer. Das Fahrwerk könnte besser sein.
Sie ist noch luftgekühlt. Aber sie ist immer noch begehrt: die Honda XR.
Konzipiert wurde die legendäre Honda-Rothaut vor rund 15 Jahren für den amerikanischen Offroad- Markt. Als leistungsfähigere Variante ihrer gemäßigten Schwester XL entstand der Urtyp eines zuverlässigen und leicht zu beherrschenden Geländemotorrads. Draufsetzen, antreten, losfahren - Endurovergnügen der besonders einfachen Art mit insgesamt minimalem Wartungsaufwand.
Das gilt auch heute noch. Die XR 600 hat wie alle modernen Geländesportler einen akzeptablen qualitativen Standard in der Fertigung erreicht. Alle im nachfolgenden aufgeführten Schwachpunkte stellen deshalb keine Warnung oder Nagativwertung des Fahrzeugs dar, sondern zeigen lediglich Möglichkeiten auf, den Serienzustand des Einzylinders auf das bestmögliche Niveau zu heben. Ferner gab es bei der XR im Laufe der Jahre hin und wieder ärgerliche Ausfallerscheinungen, deren Ursachen wie auch die Schadenshäufigkeit aufgrund häufiger Grauimporte von Honda Deutschland nicht dokumentiert werden konnten.

Die frühen Jahre

Die Erfolgsstory der XR nahm ihren Ursprung im Jahr 1979 als Ableitung aus der zahmeren XL 500. Die konzeptionellen Merkmale waren eine Naßsumpfschmierung, automatische Dekompression und vier Ventile in konventioneller Anordnung. Im Vergleich zum Basisfahrzeug verfügte die XR über verstärkte Federelemente und eine handvoll zusätzlicher Pferdestärken. Die erste 500 "R" erschien 1981 als zulassungsfähiges Motorrad mit dem damals revolutionären Pro-Link-System. Lediglich 20 XR fanden ihren Weg nach Deutschland, von denen gleich eine unter Hans Werner Pohl aus Patingen die Enduro-Europameisterschaft und auch die Deutsche Meisterschaft für sich entscheiden konnte. Erst 1982 kamen von der XR 500 RD nennenswerte Stückzahlen auf den deutschen Markt - das "D" stand für das vierte Produktionsjahr.
Ein Jahr später erschien die XR 500 RE, eine direkte Vorstufe zur bereits sehnlichst erwarteten 600er Version. Honda präsentierte hier die bis heute übliche radiale Anordnung der Ventile und einen Doppelvergaser. Wenn man so will, handelte es sich bei den Motoren sowohl der RE als auch der 84er RF um eine Mischung aus XL 500 und XL 600.
Diese frühen Modelle hatten noch mit einer Reihe von konzeptionellen Mängeln zu kämpfen. So war das Getriebe der 81er CR und 82er RD besonders beim Einsatz im Moto-Cross wenig haltbar. Außerdem litten alle vier dieser durchweg mit Naßsumpfschmierung ausgestatteten Modelle unter Schmierungsproblemen im Zylinderkopf. Dem konnte nur mit einer externen Steigleitung entgegengetreten werden. Das Siegermotorrad der Rallye Paris-Dakar verfügte über einen Ölkühler und schlug somit zwei Fliegen - Thermik und Ölzufuhr - mit einer Klappe. Wer noch so ein altes Schätzchen sein eigen nennt, sollte in jedem Fall die Schmierstoffgüte im Auge haben und das Fahrwerk seinem Alter entsprechend rücksichtsvoll behandeln.

Das Mittelalter

1985 präsentierte Honda die mittlerweile heißersehnte XR 600 RG. Die Erweiterung des Hubraums auf knapp 600 Kubikzentimeter war aufgrund der erfolgreichen Yamaha TT 600 zwischenzeitlich dringend notwendig geworden. Außerdem wurde der Motor nun über eine Trockensumpfschmierung mit Ölreservoir im vorderen Rahmendreieck geschmiert.
Zusätzliche Modellpflegemaßnahmen waren die verstärkte Schwinge, eine bessere Scheibenbremse vorn, geänderter Vorderradnachlauf und nicht zuletzt wirkungsvollere Federelemente. Die 86er RH war zumindest bis zur Seriennummer 2700 - das sind die vier letzten Zahlen der Vehicle ldentification Number, kurz VIN, absolut baugleich mit dem 85er Modell. Alle Fahrzeuge mit einer höheren VIN verfügen über ein verstärktes Getriebe, da das Schaltwerk sämtlicher 85er RG und der Hälfte der 86er RH die Fahrer mit massiven Ausfallerscheinungen überraschte. Hin und wieder kam es auch zu Schäden an der Lichtmaschine.
Der immer noch schwachen Federung konnte im Wettbewerbseinsatz mit stärkeren Federn auf die Sprünge geholfen werden, das in der Gabel vorhandene 10er Öl wich einer 7,5er Mixtur. Die XR 600 RI des Jahrgangs 1987 verfügte bereits ab Werk über verstärkte Federn und einen leicht überarbeiteten Ein-Auslaßtrakt. Allerdings konnte die 87er nur über graue Kanäle bezogen werden.

Die Neuzeit

Anfang 1988 läutete Honda die dritte Entwicklungsrunde ein. Mit der RJ präsentierten die Japaner ein mehr als nur optisch aufgewertetes Modelljahr. Die wichtigste Änderung war das 18-Zoll-Hinterrad, womit die lästige Suche nach Pneus für das 17er Rad ein Ende hatte. Ebenfalls ausgespielt hatte der aufwendige Doppelvergaser. Er wurde ersetzt durch eine nicht minder effektive 39er Gemischaufbereitung.
Ferner erhielt dieses Modelljahr eine nikasilbeschichtete Zylinderlaufbahn, getrennte Edelstahl-Auspuffkrümmer, eine andere Steuerkette sowie eine Druckstufenverstellung der Gabel. Die Folgemodelle RK (1989) und RL (1990) änderten sich nur im Design. Auch änderte sich ab 1990 die Lackierung des Motorgehäuses. Das war schade, da der VW-Lack 'Travertin-Metallic" exakt den Honda-Ton bis einschließlich 1989 traf.
Je nach Fahrergewicht und Einsatzzweck sollte bei diesen drei Modellen besonders die Gabel nachgearbeitet werden. Bei leichtgewichtigen Fahrern ist nur ein Austausch des Gabelöls gegen das bereits erwähnte Ö1 mit Viskosität 7,5 nötig. Schwere Jungs ab 75 Kilo können für den Offroadeinsatz eine härtere Feder aus dem Katalog des XR-Gurus Al Baker nachrüsten. Sollte die XR schwerpunktmäßig auf Moto-Cross-Strecken eingesetzt werden, empfiehlt sich die Überarbeitung der Gabel auf weicheres Ansprechverhalten bei gleichzeitig stärkerer Progression.
Die teilweise in US-Modellen verwendete recht magere Düsenkombination, 60er Haupt- und 162er Nebendüse, kann gegen eine 65er Leerlaufdüse in Verbindung mit einer 175er Hauptdüse getauscht werden. Allerdings sollte man zunächst die vorhandene Bedüsung begutachten, um festzustellen, welche denn nun wirklich vorhanden ist.
Die 91 er und 92er XR 600 RM/RN besitzen aufgrund der nun auch hinten installierten Scheibenbremse und der Cartridge-Gabel zweifellos das beste Fahrwerk, das es je gab. Gut dosierbare und wirksame
Bremsen sowie eine sanft ansprechende Federung lassen diese Fahrzeuge zur richtigen Entscheidung für
freizeitorientierte Enduristen werden. Ab Baujahr 1991 wurde auch wieder eine Zylinderlaufbahn aus
Grauguß anstelle der nikasilbeschichteten verwendet.

Die Exoten

Neben der XR 500 gab es Varianten mit weniger Hubraum. So existierte beispielsweise 1985 eine in den USA sehr erfolgreiche und immer noch begehrte 350er mit Trockensumpfschmierung und Doppelvergaser. Davon kamen wie so häufig - nur minimale Stückzahlen in Deutschland an.
Die XR 250 R ist in den USA sogar noch erfolgreicher als die 600er. Die umgekehrte Gewichtung des amerikanischen Markts läßt sich auch daran erkennen, daß die 250er bereits 1990 mit einer Scheibenbremse ausgerüstet wurde - die 600er mußte darauf noch ein Modelljahr lang verzichten. Die Viertelliter-XR gibt es noch als L-Version mit Stahltank für den schwerpunktmäßigen Straßeneinsatz. Auch diese Variante ist in Deutschland zwischenzeitlich erhältlich.